3 Der Faktor „Angst“ vor dem Koreakrieg

Die Nachricht vom Ausbruch des Koreakriegs am 25. Juni 1950 kam überraschend. In Deutschland, über 8000 km entfernt, erzeugte diese Nachricht Angst und Panik in der Bevölkerung, aber auch bei Regierungsmitgliedern:

„So berichtete HICOG [Hohe Kommission in Deutschland] an das [US-]Außenministerium: ‚[…] the initial and primary German reaction to the events in Korea had been one of an overpowering sense of fear […]’. Die Hysterie macht auch vor den westdeutschen Funktionseliten nicht halt. So berichtete zum Beispiel Charles Thayer, daß Bundestagsabgeordnete sich mit Zyanid eindeckten. Auch beim Bundeskanzler wurden angeblich Pläne geschmiedet, das Kanzleramt, wenn nötig, mit von den Amerikanern gekauften Schußwaffen zu verteidigen.“[1]

Das Zitat macht deutlich, warum Bourke von Angst als „demokratischster“ Emotion spricht (vgl. Kap. 2.4.3). Diese Angst vor einem „deutschen Korea“ ist das Leitthema dieses Kapitels. Zur Untersuchung des Faktors „Angst“ werden die in Kapitel 1 vorgestellten Methoden und Theorien angewandt. Dies soll einerseits helfen, die Unsicherheiten im historiographischen Umgang mit Emotionen durch theoretische Grundlegungen zu beseitigen, und andererseits ermöglichen, innovative Ansätze zur historiographischen Erforschung von Angst in den Quellen auf dieser Basis zu erproben.

In Kapitel 3.1 wird zuerst ein knapper Überblick über die politische Situation in Deutschland und der Welt um das Jahr 1950 herum gegeben, um die wichtigsten Sachverhalte zum Verständnis des in den folgenden Kapiteln untersuchten Faktors „Angst“ zusammengefasst darzustellen. Es wird gezeigt, dass die internationalen Beziehungen des Kalten Kriegs, als auch die deutsche Situation von dieser Emotion geprägt ist.

Darauf folgen drei Kapitel, die jeweils einen anderen Ansatz der historischen Emotionsforschung zum Vorbild haben, um damit möglichst vielfältig die vorgestellten Methoden und Theorien zur Anwendung zu bringen.

Im Kapitel 3.2 wird die Frage gestellt, ob die westdeutsche Bevölkerung nach Rosenwein als „emotional community“ aufgefasst werden kann (vgl. Kap. 2.2.4). Zuerst sollen dafür das zeitgenössische Verständnis und die Definition von Angst analysiert werden. Um den Faktor „Angst“ in der deutschen Bevölkerung zu verstehen, werden Einstellungen aus Umfragen, Verhaltensäußerungen und der „veröffentlichten“ Meinung untersucht, sowie ein Vergleich zu anderen europäischen Ländern in ihrer Angstreaktion gezogen.

Das Kapitel 3.3 profiliert Adenauers emotionale Normen und Regeln, angelehnt an das Konzept der „emotionology“ von Stearns (vgl. Kap. 2.2.2). Zum einen werden Adenauers Emotionsnormen auf die gesellschaftlichen Normen bezogen, zum anderen seine Emotionsperzeptionen der Bevölkerung analysiert.

Die politische Instrumentalisierung der Angst ist Thema des Kapitels 3.4. Hier soll das Konzept des „emotional regime“ von Reddy helfen (vgl. Kap. 2.2.3), die Frage zu beantworten, ob Konrad Adenauer Angst in der Bevölkerung und in der Außenpolitik instrumentalisiert hat und wenn ja, welche politischen Emotionsstrategien er dazu nutzte.

Die Theorien von Rosenwein, Stearns und Reddy bilden das Grundgerüst des zweiten Teils dieser Arbeit, jedoch ohne ihren Konzepten dogmatisch zu folgen. Innerhalb der Kapitel wird stets auf verschiedene Aspekte der anderen vorgestellten Theorien und Definitionen verwiesen, ohne deren Begrifflichkeiten nochmals gesondert zu erläutern. Auf dieser Basis werden die Ansätze diskutiert und weiterentwickelt. Die zeitgenössischen Quellen zur Untersuchung des Faktors „Angst“ bei Ausbruch des Koreakriegs in Westdeutschland werden in jedem Kapitel kritisch diskutiert. Der Anwendungsteil begrenzt sich aufgrund der Quellenfülle auf markante Beispiele, die als aussagekräftig und bedeutsam für die Untersuchung des Sachverhalts erachtet werden.

Das Ziel dieses Kapitels ist es zu zeigen, welche Ansätze und Methoden für die Erforschung der Emotionen, insbesondere der Angst, aus historischer Sicht in der Praxis ertragreich sind. Das Ergebnis soll zeigen, dass die Unsicherheit der Historiker bei der Untersuchung von Emotionen in der Geschichtswissenschaft unbegründet ist, vorausgesetzt, dass klare Definitionen bestehen und auch innovative Methoden und Theorien angewandt werden.


  1. Schumacher, Frank: Kalter Krieg und Propaganda. Die USA, der Kampf um die Weltmeinung und die ideelle Westbindung der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1955, Trier: WVT 2000 (Mosaic 10), S. 200.

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