3 Der Faktor „Angst“ vor dem Koreakrieg

3.1 Politische Situation im Jahr 1950

In diesem Kapitel wird das Hintergrundwissen für das Thema dieser Arbeit zusammengefasst. In Kapitel 3.1.1 wird die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg auf internationaler Ebene, in Kapitel 3.1.2 die Situation in Deutschland und die innerdeutschen Entwicklungen kurz erörtert. Es werden möglichst nur die Sachverhalte erwähnt, die zum allgemeinen Verständnis der Zeit und für das Verständnis des Faktors „Angst“ von Bedeutung sind. Der Fokus liegt in der Darstellung emotionaler Aspekte und Perzeptionen auf internationaler wie deutscher Ebene.

3.1.1 Kalter Krieg und Koreakrieg: Internationale Beziehungen

„Am Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die größte Angst der beiden Supermächte darin, dass sich ein wiedererstarktes, vereinigtes Deutschland der anderen Seite ‚zuneige’“,[1] schreibt der Historiker Gaddis. Die besagten „beiden Supermächte“ waren die USA und die Sowjetunion. Mitten durch Deutschland verlief die Grenze ihrer Interessensphäre in Europa. Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt und von den Hohen Kommissaren verwaltet worden.

Auf der anderen Seite der Welt wurde Korea am 38. Breitengrad in Nord- und Südkorea aufgeteilt, nachdem es am Ende des Zweiten Weltkrieg aus der japanischen Besatzung befreit worden war. Das in die westlich orientierte „Republik Korea“ und östlich orientierte „Demokratische Volksrepublik Korea“ geteilte Land bildete das asiatische Pendant zu Deutschland als „Frontstaat“ zwischen Ost- und Westblock.[2] Dass die USA geringeres Interesse an Korea hatten, zeigte Außenminister Dean Acheson noch kurz vor Beginn des Koreakriegs, indem er Südkorea nicht unter den amerikanischen Interessengebieten im asiatischen Raum erwähnte, wohl aber Formosa (Taiwan) und Japan.[3] Die Ausgaben für das US-Militär sollten wieder zurückgefahren werden.[4]

Anstelle der gemeinsamen Interessen von USA und Sowjetunion im Kampf gegen Deutschland und Japan traten bald wieder die Gegensätze des Ost-West-Konflikts in den Vordergrund.[5] Stalin wollte – nach dem Überraschungsangriff Hitlers – vor allem „Sicherheit: für sich selbst, sein Regime, sein Land und seine Ideologie – in dieser Reihenfolge.“[6] Ein wiedervereinigtes Südkorea lag nicht unbedingt in seinem Interesse, aber er war auch nicht bereit dort selbst in einen Kampf einzutreten. Auch die USA wünschten sich Sicherheit, besonders vor der Expansion der Sowjetunion fürchteten sie sich, mehr noch aber vor der Expansion des Kommunismus. Die Existenz der Atombomben, die die USA zum ersten Mal 1945 in Japan eingesetzt hatten und der erste Test durch die Sowjetunion 1949, verstärkte das Misstrauen zwischen den beiden Großmächten.[7]

Besonders für die Europäer war das Szenario eines Dritten Weltkriegs ein Schreckensbild, weil sie ganz Europa als das atomare Schlachtfeld dieses Kampfes erwarteten. Doch die USA gingen vorerst nicht von einer sowjetischen Invasion aus, sondern davon, dass Hunger, Armut und Verzweiflung dazu führe, dass die Europäer Kommunisten in die Regierungen wählen und diese der Sowjetunion gehorchen würden. Der Wiederaufbau Europas war die Gegenstrategie der Amerikaner. Sie hofften, dass die „Marshallplan“ genannte Wirtschaftshilfe für Europa „augenblicklich psychologische und später auch materielle Wirkungen zeitigen würde, die den Kommunismus sogar zurückdrängen würden“.[8] Neben dem wirtschaftlichen Aufbau war die „psychologische […] Stabilisierung der europäischen Verbündeten“ und die Milderung der französischen und britischen Ängste vor dem Wiederaufbau Deutschlands zentrale Aufgabe des Marshallplans.[9] Die Strategie Trumans gegen den Kommunismus hieß „containment“.

Kommunistenhass und Agentenfurcht wurden bei den Amerikanern besonders in den 1950er Jahren zunehmend verbreitet: Diese „gesellschaftliche Hysterie […] wurde durch Politiker wie den republikanischen Senator Joseph McCarthy zusätzlich angeheizt und für die eigenen Zwecke instrumentalisiert“.[10] McCarthyismus wurde daher der grassierende Antikommunismus in den USA genannt. Dieser Antikommunismus hatte Methode und Zweck:

„’Bedrohungsinflation’, so hat Pulitzer-Preisträger Richard Rhodes diese Methode genannt, mit der amerikanische Falken um den späteren Marine-Minister Paul H. Nitze für eine Aufrüstung trommelten. Sie übertrieben einfach maßlos die Gefahr, die von einem Gegner ausging.“[11]

Paul Nitze war Hauptverfasser einer neuen US-Sicherheitsrichtlinie namens NSC 68, die eine Antwort auf die russische Gefahr bieten sollte: „The Soviet Union could rely more in ideological subversion and revolution than major war to achieve its planetary domination. Consequently, any victory of left-wing movements anywhere constituted a basic threat to the security of the United States.“[12] Damit war die Strategie des „containment“ hinfällig geworden:

„Strategists like Paul Nitze and many politicians, including the prominent internationalist Republican John Foster Dulles, recognized that Americans would be more receptive to the clear-cut morality of active anti-communism than the cool logic of defensive containment. […] Candidates for office learned quickly that opposing radicals and the Soviet Union was the sina qua non of effective campaigning, that there were few votes to be gained and many to be lost by preaching conciliation in East-West relations.“[13]

Nicht die Sowjetunion war eine Bedrohung, sondern der Kommunismus in seiner Gesamtheit, was von der amerikanischen Politik eine Reaktion für mehr Sicherheit forderte: Aufrüstung zum Schutze vor den Gefahren der kommunistischen Revolution.

Die Hintergründe, wie es eigentlich zum Koreakrieg kam, sind erst seit der Öffnung der sowjetischen Archive bekannt geworden. In den kommunistischen Staaten galt bis in die neunziger Jahre die Theorie (in Nordkorea bis heute), dass der Süden den Norden angegriffen habe, in der revisionistischen amerikanischen Forschungsliteratur hat Kim Il-sung auf südkoreanische Provokationen reagiert.[14] Tatsächlich ist der nordkoreanische Führer Kim Il-sung in die Sowjetunion zu Stalin gereist, um ihn um Unterstützung für die militärische Wiedervereinigung des Landes zu bitten.[15] „In ihrem vehementen Patriotismus strebten beide Seiten der willkürlich geteilten Nation letztlich die Wiedervereinigung der Halbinsel an, die notfalls auch mit Gewalt durchgesetzt werden sollte“,[16] doch Kim Il-sung wollte sich nicht vom südkoreanischen, ebenfalls autoritären Führer Rhee Syng-man überraschen lassen. Stalin hatte diesen Vorschlag Kims lange Zeit abgelehnt. Er stimmte unter zwei Bedingungen zu: Erstens müsse Mao, der chinesische Führer, auch zustimmen, und zweitens würde Stalin keine Truppen in seinem Namen schicken. Als Stalin dem Krieg zustimmte, hatte er weder ernsthaft erwartet, dass die USA eingreifen würden, noch dass Europa militärisch stärker ausgerüstet werden würde.[17] Der Abzug der US-Truppen aus Korea war für Stalin wie eine „Einladung“, „wie man seinen bekanntgewordenen Äußerungen entnehmen kann.“[18]

Als die nordkoreanischen Truppen am frühen Morgen des 25. Juni 1950 den 38. Breitengrad überschritten und Südkorea angriffen, war die Welt überrascht.[19] In Europa und den USA waren die meisten Menschen überzeugt, dass diese Aggression von der Sowjetunion ausgehe, oder zumindest von ihr unterstützt würde.[20] Präsident Truman sah den Angriff auf Korea nach der Blockade der Westzonen in Berlin und der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei 1948 als ein Zeichen für die verstärkte Aggressivität des Kommunismus, die mit Härte beantwortet werden müsse: „The attack upon Korea makes it plain beyond all doubt that communism has passed beyond the use of subversion to conquer independent nations and will now use armed invasion and war.“[21] Als klar wurde, dass an den anderen Grenzen der Sowjetunion keine Angriffe erfolgten, griffen die Amerikaner mit einem Mandat der UNO in Korea militärisch ein:

„As Secretary of State Acheson put it, decisive action was necessary ‘as a symbol [of the] strength and determination of [the] west.’ To do less would encourage ‘new aggressive action elsewhere’ and demoralize ‘countries adjacent to [the] Soviet orbit.’“[22]

William Stueck erörtert vier Stufen des Koreakriegs.[23] Die erste Phase reicht vom Ausbruch im Juni bis Mitte September desselben Jahres. Diese Zeit wird von der nordkoreanischen Offensive geprägt, bei der Südkorea bis auf einen Perimeter um die südliche Hafenstadt Busan erobert wird. Auch nach Europa schickten die USA im November vier zusätzliche Divisionen unter Führung General Eisenhowers, um die NATO zu stärken. „Nicht wenige Historiker sprechen daher vom September 1950 als dem eigentlichen Gründungsdatum der NATO.“[24] Die Wiederbewaffnung Westdeutschlands konnte angesichts der sowjetischen Bedrohung erstmals ernsthaft und ohne großen Widerspruch zu befürchten, diskutiert werden.

„[I]n Washington bestimmte Angst die Politik […]. Bezeichnenderweise steigerte die deutschland-politische Weichenstellung die Ängste in Washington noch; denn die Sorge lag durchaus nahe, ein derart aufgepäppeltes (West-)Deutschland könne Stalin in die Hände fallen. ‚Um zu verhindern, dass Deutschland kommunistisch wird’, müsse ein ‚großer Kampf’ geführt werden, erklärte [US-Außenminister] Marshall.“[25]

Dass die USA Europa, möglicherweise auch Deutschland wiederbewaffnen wollten, bereitete Frankreich wiederum große Sorgen, da es befürchtete, Deutschland oder der Sowjetunion, schutzlos ausgeliefert zu sein. Diese Sorgen zeigen sich beispielhaft in einer Notiz über das Gespräch zwischen dem französischen Botschafter in den USA, Henri Bonnet, und dem US-Außenminister, Dean Acheson, kurz nach Ausbruch des Koreakriegs:

„Mr. Bonnet said that the new French cabinet was anxious to know what effect our military operations in Korea would have on European rearmament. I assured him that the Korean situation had made it seem all the more important for us to proceed energetically and rapidly to the rearmament of the Atlantic Pact nations […].“[26]

Langfristig wurde auch die Wiederbewaffnung Deutschlands, das noch nicht Mitglied der NATO war, diskutiert. In die zweite Stufe des Koreakriegs fällt die Gegenoffensive der amerikanisch geführten UN-Truppen, die die gesamte Halbinsel bis an den chinesisch-koreanischen Grenzfluss Yalu zurückeroberten. Die ersten Kontakte mit chinesischen „Freiwilligenverbänden“ führten zu Diskussionen, ob der Krieg nun auch auf China ausgeweitet werden sollte. Der hoch angesehene General MacArthur befürwortete mit Nachdruck, Atombomben gegen China einzusetzen. Truman zog ihn infolge der bleibenden Meinungsverschiedenheiten aus Korea ab. Zudem hielt Truman Asien für nicht so bedeutsam wie Europa und wollte in Asien nicht zu viele Kräfte binden. „Finally, and perhaps most important of all, Washington’s allies were scared of their wits at the thought of an expanded war.“[27] Als dritte Stufe des Koreakriegs bezeichnet Stueck das starke Vorrücken der chinesischen Verbände ab November 1950. Die Gegenoffensive stoppte erst wieder am 38. Breitengrad, also dort, wo der Krieg wenige Monate vorher begonnen hatte. Über zwei Jahre lang sollte der Krieg um diese Grenze verharren. Die vierte Stufe sind diese zähen Verhandlungen zwischen UNO und Nordkorea, in denen der Krieg parallel weiterlief. Er wurde erst am 27. Juli 1953 in Panmunjeom mit einem Waffenstillstandsvertrag beendet.[28]

„Anders als in Europa und den USA blieb der Konflikt in beiden Teilen Koreas bis heute unvergessen“[29], was nicht verwundert, denn Korea ist bis zum heutigen Tage an genau dieser Grenze geteilt.[30] Die Folgen des Koreakriegs für die koreanische Bevölkerung waren dramatisch, und sie sind es bis heute noch, sowohl in der koreanischen Erinnerung, als auch im täglichen Leben, durch die andauernde Bedrohung des Südens und die verarmten und hungernden Menschen im international ausgegrenzten Norden des Landes. US-General LeMay sagte: „‚Wir haben […] jeden Ort in Nordkorea niedergebrannt und auch manche in Südkorea’, […] wir haben 20 Prozent der Bevölkerung Koreas durch direkte Kriegseinwirkung getötet oder durch Verhungern und Erfrieren.’“[31]

Der Koreakrieg war der erste „heiße“ Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Großmächten, die jedoch gleichermaßen die direkte Konfrontation scheuten. Erst nach Öffnung der sowjetischen Archive wurde bekannt, dass über 70.000 Mann der sowjetischen Luftwaffe in Nordkorea gedient haben,[32] wobei sogar ein direkter Schlagabtausch zwischen sowjetischen und amerikanischen Jagdflugzeugen vorgekommen war, der aber von beiden Seiten geheim gehalten wurde: „Da sie es […] für gefährlich hielten, waren sie sich insgeheim darüber einig, den Mantel des Schweigens darüber zu decken.“[33] Es wurden trotz des Drängens von General MacArthur keine Atomwaffen im Koreakrieg eingesetzt, auch weil sie taktisch aufgrund fehlender, einzelner großer Ziele in Korea nicht sinnvoll anwendbar waren, was für den Historiker Dingman nur verbirgt, dass dies ernsthaft in Betracht gezogen wurde: „American statesmen repeatedly attempted to use nuclear weapons as tools with which to manage the politics and diplomacy of the war.“[34] Infolge des Konflikts rüsteten die Amerikaner auf und verstärkten ihre militärische Präsenz nicht nur in Korea und Europa, sondern auch in Taiwan, Japan und Indochina.[35]

Es folgte eine weitere Anspannung der Situation zwischen den USA und der Sowjetunion, die in einem Aufrüstungswettrennen mündete. Die hohen Kriegsausgaben beim Koreakrieg führten zu einem Wirtschaftsaufschwung in Japan, den USA und besonders in Westdeutschland, sodass vom „Koreaboom“ gesprochen wurde, der die westdeutsche Wirtschaft überhaupt erst wieder stabilisiert habe und das Wirtschaftswunder möglich machte.

Harper bewertet den Kalten Krieg nach Öffnung der Archive und dem Vergleich der verschiedenen historischen Forschungsansätze folgendermaßen: „If any conclusion could be drawn from post-1989 scholarship, it was that both East and West had behaved provocatively and furnished the other side with abundant reasons for alarm.“[36] Der Kalte Krieg war eine Phase, in der „militärische Stärke aufhörte […] ein charakteristisches Merkmal von ‚Macht’ zu sein“,[37] schreibt Gaddis. Ein charakteristisches Merkmal der Macht ist das Auslösen, Bekämpfen und Verbergen von Angst geworden.

3.1.2 Wiederaufbau und Wiederbewaffnung:
Deutschland nach dem Krieg

Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren in Deutschland 1950 sozial wie wirtschaftlich noch deutlich zu spüren. Die Städte waren teils stark zerstört, die Wirtschaft instabil, Essen musste rationiert werden, große Teile der Bevölkerung waren noch häufig heimat- und besitzlos und es gab noch viele Kriegsgefangene in der Sowjetunion.

Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten verwaltet, überwacht und kontrolliert. „Im Mittelpunkt standen ‚ein Programm der industriellen Abrüstung und Entmilitarisierung’ sowie Reparationsforderungen“[38] und weniger konstruktive Vorschläge für Deutschlands Wiederaufbau als gemeinsames Interesse der Besatzungsmächte. Auch innerhalb Deutschland zeichneten sich die Interessenkonflikte zwischen den Alliierten früh ab:

„Die amerikanischen Experten, die für eine Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Wirtschaftseinheit plädiert hatten, wurden von dem Albtraum geplagt, daß eine – wie von Präsident Roosevelt und Finanzminister Morgenthau befürwortete und von der Sowjetunion geforderte – geteilte, entindustrialisierte und durch Reparationen geschwächte deutsche Wirtschaft nicht mehr in der Lage sein würde, die Bevölkerung zu ernähren. Deutschland würde dann langfristig auf Hilfe von außen angewiesen sein.“[39]

Zeitweise führte dies dazu, dass gleichzeitig zur Demontagepolitik der wirtschaftliche Wiederaufbau im Rahmen des Marshallplans betrieben wurde, um Deutschland vor wirtschaftlicher Instabilität und damit indirekt vor dem Kommunismus zu schützen:[40] ein Widerspruch, der die Gemüter erregte, national wie international.[41] Besonders Frankreich befürchtete ein Widererstarken des Nachbarn, denn „das Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland war nicht weniger ausgeprägt als die Sorge vor Rußland“.[42] Die Aufnahme Westdeutschlands in ein westliches Verteidigungsbündnis ist von Außenminister Marshall schon Februar 1948 ins Auge gefasst worden.[43] Die NATO („North Atlantic Treaty Organization“) war am 4. April 1955 als militärisches Verteidigungsbündnis von Kanada, Großbritannien, Frankreich, Island, Norwegen, Dänemark, Italien, Portugal sowie den Beneluxstaaten unter Führung der USA gegründet worden, „um ‚jeden bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als einen Angriff gegen sie alle’ anzusehen und sich gegenseitig militärischen Beistand zu leisten“.[44] Die NATO war als Schutz sowohl gegen die Sowjetunion als auch gegen ein wiedererstarktes Deutschland gerichtet.

Die Währungsreform in den Westzonen und die damit einhergehende Verbesserung des Warenangebots gab den Deutschen Hoffnung, auch wenn die Probleme der Wirtschaft damit noch nicht gelöst waren. Für ein „Wirtschaftswunder“ hatte zu dieser Zeit nicht viel gesprochen: „Im Winter 1949/50 herrschte Massenarbeitslosigkeit, die an die schlimmsten Weimarer Jahre erinnerte, und erst im März 1950 konnte die Lebensmittelrationierung aufgehoben werden, die seit 1939 bestanden hatte.“[45]

In Deutschland wurde der Aufbau der beiden neugegründeten Staaten vorangetrieben, in den westlichen Zonen vor allem mit der Absicht einer stärkeren Demokratisierung. Konrad Adenauer gründete die CDU und wurde ihr Vorsitzender in der britischen Zone.

Während der Berlinkrise 1948/49 wurde der Gegensatz zwischen den USA und der Sowjetunion besonders deutlich. Die Sowjetunion verbat den Zugang zur westlichen Berliner Zone. Nur durch eine Luftbrücke konnte die Westberliner Bevölkerung versorgt werden. „Berlin war zum Symbol der westlichen Selbstbehauptung gegen die Sowjetunion geworden. Von nun an galt der Satz: Wenn Berlin fiel, waren auch Paris, London und Washington bedroht.“[46] Zu diesem Zeitpunkt gewannen die deutschen zum ersten Mal Vertrauen in die amerikanische Besatzungsmacht.

Adenauer wurde bei den ersten freien Wahlen 1949 zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, die aber bis dahin nur aus französischer, amerikanischer und britischer Zone bestand. Schon vor Beginn des Koreakriegs hatte Adenauer auf die Wiederbewaffnung zum Schutz vor der sowjetischen Macht gedrängt, was er erst nach dem Koreakrieg als Weg zur Herstellung der deutschen Souveränität erkannte:

„Zunächst ohne Erfolg. Die Regierung in Washington, aber auch McCloy [der Hohe Kommissar der USA] hielten noch Mitte Juni 1950 an der Überzeugung fest, ein westdeutscher Wehrbeitrag sei politisch nicht durchzusetzen. Zu groß seien die Widerstände, nicht nur in Frankreich, sondern auch bei den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands sowie in der westdeutschen Innenpolitik.“[47]

Als am 25. Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, änderten sich die Einschätzungen, sowohl der internationalen Situation, als auch der „psychologischen“ Möglichkeiten, die westdeutsche Bevölkerung und die Alliierten von einer Wiederbewaffnung zu überzeugen. Die Furcht vor einem sowjetischen Angriff führte zu einer Diskussion dieses heiklen Themas.[48] Erst jetzt erkannte Adenauer „in welchem Maße die veränderte weltpolitische Konstellation des Sommers 1950 helfen konnte, den Zielen seiner Außenpolitik – Souveränitätsgewinn und Gleichberechtigung – näher zu kommen.“[49]

Adenauer traf sich regelmäßig mit den drei Hohen Kommissaren auf dem Petersberg bei Bonn, um in Geheimgesprächen über die weltweite, aber auch nationale Sicherheitslage zu sprechen. Die Amerikaner und mit ihnen die Briten befürworteten Adenauers nachdrückliche Empfehlung einer Wiederbewaffnung, obschon sie noch kurz vor dem Koreakrieg ihre Bedenken angemeldet hatten und Demontage und Demilitarisierung des Landes als höchste Priorität ansahen. Frankreichs Sorge vor Wiederbewaffnung Westdeutschlands blieb stetig vorhanden. Auch die deutsche Bevölkerung begehrte nur kurz aus ihrer Politikverdrossenheit auf, in Form eines Protest, der die „Ohne mich!“-Haltung kundgab: „Die Aussicht auf eine neue deutsche Armee nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erregte beinahe zwangsläufig Widerspruch, mochten die politischen und strategischen Argumente auch noch so überzeugend sein.“[50] Auch der CDU-Politiker und Innenminister Gustav Heinemann wollte keine Remilitarisierung Westdeutschlands. Aufgrund von Adenauers Geheimdiplomatie, die ihm später den Ruf des „einsamen Entscheiders“ geben sollte, kündigte Heinemann bald seinen Rücktritt an, da er sich weigerte, demfait accompli nachträglich zuzustimmen.[51]

Adenauers Bestrebungen gingen, dem französischen Vorschlag folgend, in die Richtung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), bei der die europäischen Länder gleichberechtigt zu einem gemeinsam geführten europäischen Militär beitragen sollten. Die EVG sollte 1954 vor der französischen Nationalversammlung scheitern, doch „die Integration Westdeutschlands in das westliche Bündnissystem (NATO) war nicht mehr rückgängig zu machen“.[52] Die Pariser Verträge, die unter anderem den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO regelten, traten als bevorzugte Alternative der USA am 5. Mai 1955 in Kraft.

Adenauer befand sich im Herbst 1950 auf einem Umfragetief: Nur ein Viertel der Bevölkerung war mit seiner Politik einverstanden.[53] Infolge des Koreakriegs gab es einen weltweiter Wirtschaftsaufschwung, der besonders der westdeutschen Wirtschaft einen beträchtlichen Wachstumsschub verlieh und später aus dem „Koreaboom“ das „Wirtschaftswunder“ möglich machte.[54]

„Die Gewalt dieses Ereignisses machte alle wirtschaftspolitischen Kalkulationen über Nacht zu Makulatur. Zum ersten Mal spürte die westdeutsche Wirtschaft einen Wachstumsschub für die Außenwirtschaft. Es erwies sich nun als günstig, dass Westdeutschland als einziger bedeutender Industriestaat des Westens freie Produktionsreserven anzubieten hatte.“[55]

In Folge gewann der Bundeskanzler zunehmend an Popularität, bis zum Höhepunkt, als er diplomatische Kontakte mit der Sowjetunion akzeptierte und die Rückgabe der Kriegsgefangenen erreichte. Kritisch betrachtet wurden seine Reaktionen auf die Demonstrationen gegen die Stationierung von Atomwaffen in Westdeutschland und sein anfängliches Abwarten beim Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961. Adenauer trat 1963 infolge der „Spiegel-Affäre“ von seinem Amt zurück. Die Wiedervereinigung Deutschlands wurde 1990 im Rahmen der Auflösung der Sowjetunion erreicht. Die Geschichte Deutschlands ist eng mit der Geschichte der Alliierten Mächte verknüpft gewesen, auch in Hinsicht auf die emotionalen Faktoren.


  1. Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 10; eglische Originalausgabe: Gaddis, John Lewis: The Cold War. A new history, New York: Penguin Press 2005.
  2. Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 57.
  3. Steininger: Der vergessene Krieg, S. 29.
  4. Stueck, William: „The Korean War“, in: Leffler, Melvyn und Odd Arne Westad (Hrsg.): The Cambridge history of the Cold War, Cambridge (UK): Cambridge University Press 2010, S. 266-287, hier S. 275f.
  5. Ebd., S. 268.
  6. Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 23.
  7. Ebd., S. 39.
  8. Ebd., S. 47.
  9. Schumacher: Kalter Krieg und Propaganda, S. 137f.
  10. Biermann, Harald: „Stunde höchster Gefahr“, in: Spiegel Special Geschichte 3/2008 (2008).
  11. Bönisch, Georg und Klaus Wiegrefe: „Am Abgrund“, in: Spiegel Special Geschichte 3/2008 (2008).
  12. Craig, Campbell und Fredrik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity, Cambridge (US): Harvard Univ. Press 2009, S. 111.
  13. Ebd., S. 134f.
  14. Vgl. Harper, John Lamberton: The Cold War, Oxford: Oxford University Press 2011, S. 83–89.
  15. Schumacher: Kalter Krieg und Propaganda, S. 199, Anm. 93.
  16. Bechtol, Jr., Bruce E.: „Paradigmenwandel des Kalten Krieges. Der Koreakrieg 1950–1953“, in: Greiner, Bernd, Christian Th. Müller und Walter Dierk (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Bd. 1, Hamburg: Hamburger Edition 2006 (Studien zum Kalten Krieg), S. 141-166, hier S. 144.
  17. Harper: The Cold War, S. 103; Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 59f.
  18. Stöver, Bernd: Der Kalte Krieg 1947-1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München: C.H. Beck 2007, S. 95.
  19. Stueck: „The Korean War“, S. 274.
  20. Ebd., S. 276.
  21. Truman, Harry S.: „173. Statement by the President on the Situation in Korea“, in: Public Papers of the Presidents: Harry S. Truman (27.06.1950), http://www.trumanlibrary.org/publicpapers/index.php?pid=800&st=&st1= [abgerufen am 14.06.2011]; vgl. Bechtol, Jr.: „Paradigmenwandel des Kalten Krieges“, S. 154.
  22. Stueck: „The Korean War“, S. 276: Stueck zitiert aus: D. Acheson to Ambassador Alan Kirk in Moscow, June 28, 1950, Record Group 84, National Archives II, College Park, Maryland.
  23. Für den folgenden Abschnitt zu den vier Phasen, vgl. ebd., S. 277–279.
  24. Biermann: „Stunde höchster Gefahr“, S. 44.
  25. Bönisch/Wiegrefe: „Am Abgrund“, S. 10.
  26. Acheson, Dean: „Memorandum of Conversation, July 17, 1950. Secretary of State File, Acheson Papers.“, in: Truman Library. The Korean War and its Origins 1945-1953 (17.07.1950), http://www.trumanlibrary.org/whistlestop/ study_collections/koreanwar/documents/index.php?documentdate=1950-07-17&documentid=ki-13-11&pagenumber=1 [abgerufen am 26.08.2011].
  27. Stueck, William: Rethinking the Korean War. A New Diplomatic and Strategic History, Princeton, NJ (USA): Princeton University Press 2004, S. 124.
  28. De facto sind Nord- und Südkorea bis zum heutigen Tage im Kriegszustand, da nie ein Friedensvertrag geschlossen wurde. Die Grenze, DMZ („demilitarized zone“)  genannt, verläuft heute noch entlang des 38. Breitengrads und ist die militärisch am besten überwachte Grenze der Welt.
  29. Stöver, Bernd: „Globalität versus Regionalität. Was zeigt der Koreakrieg für die Geschichte des Kalten Krieges?“, in: Kleßmann, Christoph und Bernd Stöver (Hrsg.): Der Koreakrieg. Wahrnehmung - Wirkung - Erinnerung, Köln: Böhlau 2008, S. 211-217, hier S. 215; vgl. Steininger: Der vergessene Krieg.
  30. Vgl. Kleßmann, Christoph und Bernd Stöver (Hrsg.): Der Koreakrieg. Wahrnehmung - Wirkung - Erinnerung, Köln: Böhlau 2008.
  31. Bönisch/Wiegrefe: „Am Abgrund“, S. 14.
  32. Ebd., S. 13.
  33. Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 80.
  34. Dingman, Roger: „Atomic Diplomacy during the Korean War“, in: International Security 13/3 (1988), S. 50-91, hier S. 89.
  35. Harper: The Cold War, S. 106.
  36. Ebd., S. 89.
  37. Gaddis: Der Kalte Krieg, S. 327.
  38. Görtemaker, Manfred: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M.: Fischer 2004, S. 120.
  39. Ebd., S. 123.
  40. Ebd., S. 126.
  41. Vgl. Harmssen, Gustav Wilhelm: Am Abend der Demontage. 6 Jahre Reparationspolitik. Mit Dokumentenanhang, Bremen: Trüjen 1951.
  42. Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 46.
  43. Ebd., S. 45.
  44. Schulze, Hagen: Kleine deutsche Geschichte, 7. Aufl., München: dtv 2005, S. 204.
  45. Ebd., S. 207.
  46. Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 44.
  47. Geppert, Dominik: Die Ära Adenauer, 2. Aufl., Darmstadt: WBG 2007 (Geschichte kompakt), S. 45.
  48. Eine Darstellung der einzelnen Schritte und wichtigen Daten hierzu findet sich bei Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München: Siedler 2009, S. 70–75.
  49. Ebd., S. 71.
  50. Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 189.
  51. Geppert: Die Ära Adenauer, S. 46.
  52. Schulze: Kleine deutsche Geschichte, S. 204.
  53. Noelle, Elisabeth und Erich Peter Neumann (Hrsg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947/1955, Allensbach: Verlag für Demoskopie 1956, S. 172f.
  54. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bundesrepublik und DDR 1949–1990, Bd. 5, München: C.H. Beck 1987, S. 48f,53f.
  55. Abelshauser, Werner: Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2005 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung 460), S. 159; vgl. auch Abelshauser, Werner: „Rekonstruktion der Kontinuität. Die Bedeutung der Koreakrise für die westeuropäische Wirtschaft“, in: Kleßmann, Christoph und Bernd Stöver (Hrsg.): Der Koreakrieg. Wahrnehmung - Wirkung - Erinnerung, Köln: Böhlau 2008, S. 116-132.

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